derstandard.at, 25.7.2012
Unbeschnittene Männer würden nicht mit giftigen Bakterien im Penis herumlaufen, entkräftet der Linzer Jurist Bruno Binder medizinische Argumente für eine Beschneidung
Standard: Was denken Sie über die Beschneidungs-Debatte?
Binder: Die Kölner Entscheidung ist mutig und richtig. Wir haben ein Körperverletzungsverbot im Strafgesetz. Wenn die Verletzung über 24 Tage dauert, gibt es bis zu drei Jahre Strafe. Die eigentliche Frage ist: Dürfen Eltern für Ihre Kinder aus religiösen Gründen eine Verstümmelung anordnen?
Standard: Warum wurde das jahrzehntelang nicht diskutiert?
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Binder: Der liberale Rechtsstaat ist sehr zurückhaltend gegenüber Religionen, die verstehen jede Kritik gleich als Kampfansage. Das ist auch die Verfassungsfrage: schränkt die Religionsfreiheit das Recht auf körperliche Integrität des Kindes ein, oder nicht.
Standard: Was ist mit Ohrlöcher- stechen-Lassen bei Kindern?
Binder: Streng genommen ist das Körperverletzung. Wir haben die Tendenz, dass Eltern körperlich an die Kinder randürfen. Das war auch bei der Prügelstrafe so. Heute ist anerkannt, dass man überhaupt nicht prügeln darf.
Standard: Rund 70 Prozent der US-Amerikaner sind beschnitten, allerdings führt man dort eine medizinische Debatte.
Binder: Es gibt in jeder Gesellschaft Irrationalitäten. Ich bezweifle, dass unsere unbeschnittenen Männer mit giftigen Bakterien im Penis herumlaufen.
Standard: Beschneidungen finden selten im Spital statt. Ist das eine rein symbolische Diskussion?
Binder: Es macht für die Qualität einen Unterschied, ob sie im Krankenhaus oder in einem Wohnzimmer stattfindet. Der Gesetzgeber kann hier viel machen. Es bedeutet eine lebenslängliche Stigmatisierung für das Kind. Wenn es sich schon die Religion nicht aussuchen kann, dann könnte die Grenze dort sein, wo das Kind verstümmelt wird.
Standard: Kann das auch Aufmerksamkeit auf die Genitalverstümmelung von Mädchen lenken?
Binder: Das ist eine schwierige Frage, die Beschneidung von Mädchen hat eine viel intensivere Auswirkung. Vom Prinzip her ist es jedoch ähnlich: man schneidet an beiden herum. Archaische Argumente, dass es in der Religion so vorgesehen ist, können in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht nachempfunden werden. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 26.7.2012)