Beschneidung und Religionsfreiheit: Keine faulen Kompromisse!

diepresse.com, 26.7.201, Gastkommentar von Mag. Christian Zeitz (Mag. Christian Zeitz ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie.)

Der Staat sollte die Beschneidung bei Juden nicht strafrechtlich verfolgen, Betroffenen später aber das Recht auf Schadenersatz einräumen.

Die engagierte und erstaunlich breite Diskussion um die Frage der religiös motivierten Beschneidung ist erfreulich und nützlich, weil sie zwei Einsichten öffentlich gemacht hat. Erstens: Kultische und rituelle Belange spielen auch in der angeblich säkularen Gesellschaft eine beträchtliche Rolle. Zweitens: Viele Menschen sind es leid, dass jede kritische Beurteilung religiöser Ansichten und Praktiken sofort mit dem Argument der „Religionsfreiheit“ abgewürgt und im nächsten Schritt mit dem Stigma der Diskriminierung religiöser Minderheiten geächtet wird.

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Tatsächlich hat man auch diesmal die Vorhalte des „Antisemitismus“ und der „Islamophobie“ bereits hören müssen. Diese emotionale Aufheizung erweist dem Ziel einer vorurteilslosen Problembewältigung keinen guten Dienst.

Eines sollte außer Streit gestellt werden: Natürlich handelt es sich bei der operativen Entfernung eines gesunden Gewebeteiles um Körperverletzung. Die Behauptung, dies sei (fast) schmerzfrei, (meist) komplikationslos und würde keine funktionelle Beeinträchtigung nach sich ziehen, ist kein Gegenargument. Es müsste ansonsten auch für die Amputation der linken kleinen Zehe gelten. Der Verweis, dass die staatlich garantierte Religionsfreiheit den Vorgang automatisch entkriminalisieren würde, ist auch nicht so leicht durchzuhalten. Schließlich ist die Verfügung über ein Kleinkind, das einen irreversiblen Eingriff über sich ergehen lassen muss, gerade das Gegenteil von Freiheit. Dennoch muss zugestanden werden, dass es Juden (mehr als Muslimen) unmöglich ist, die rituelle Beschneidung zur Disposition zu stellen, denn sie ist unverhandelbare Voraussetzung für den Bund mit Jahwe.

Daraus folgt, dass wir uns zum Bekenntnis durchringen müssen, dass es Glaubenslehren und religiöse Vorschriften gibt, deren Vollzug gegen Menschenrechte oder Normen des säkularen Rechtsstaates verstoßen. Wenn die Verbindlichkeit der staatlichen Gemeinschaft nicht aufgelöst werden soll, können wir das Problem nicht unter den Teppich kehren, indem wir Konflikte zwischen religiösen Normen und staatlichen Rechten und Pflichten automatisch zugunsten einer unbegrenzten Religionsfreiheit lösen. Wir müssten sonst eines Tages möglicherweise Witwenverbrennungen akzeptieren.

„Strafmandat“ für Beschneidung
Es bedarf eines offenen Diskurses über den Umgang mit Glaubensinhalten, die in offenem Widerspruch zu Grund- und Freiheitsrechten sowie staatlichen Gesetzen stehen (wie etwa Vergeltungsrecht, Züchtigung unfolgsamer Frauen und Polygamie im Islam). Keinesfalls darf die „Religionsfreiheit“ in Stellung gebracht werden, um etwa die Meinungsfreiheit (in der Religionskritik) oder den Gleichheitsgrundsatz außer Kraft zu setzen. Staat und Gesellschaft haben das Recht und die Pflicht, in jedem Konfliktfall eine ausgewogene, respektvolle, der Gemeinschaft dienende Abwägung und Eingrenzung von Rechten und Pflichten vorzunehmen.

Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit könnte ein fairer Kompromiss in der Sache der rituellen Beschneidung so aussehen: Der Staat verzichtet auf die strafrechtliche Verfolgung der Beschneidung bei Juden (vielleicht auch Muslimen) und lässt diese explizit zu. Gleichzeitig stellt er es dem beschnittenen Buben ab dessen Großjährigkeit frei, seine Beschneidung als gegen seinen Willen durchgeführt zu erklären und Schmerzensgeld oder Schadenersatz zu verlangen, was auch eine Art „Strafmandat“ für die Veranlasser zur Folge haben könnte.

Religiösen Frieden gibt es nicht zum Nulltarif. Das gilt für alle jeweils beteiligten Parteien. Darüber sollten wir uns nicht durch faule Kompromisse hinwegschwindeln.

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